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Laudatio von Prof. Dr. med. Detlev Ploog

zur Verleihung der Heinrich-Hoffmann-Medaille 1989 an Hanuš Papoušek
durch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Die Verleihung der Heinrich-Hoffmann-Medaille ist ein großes Ereignis für die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Jedes vierte Jahr wird eine hervorragende Persönlichkeit mit dieser Auszeichnung geehrt, die sich höchste Verdienste um die Kinderforschung erworben hat. Dieses Mal habe ich die ganz besondere Freude, die Laudatio auf den Empfänger der Medaille, Herrn Prof. Papoušek, halten zu dürfen. Ich bin seinem Werk und ihm eng verbunden, seit es mir im Jahre 1972 gelang, ihn für die Kinderforschung im Max-Planck-Institut für Psychiatrie zu gewinnen. In der Zielsetzung des damals noch jungen Forschungsprogramms unserer neu gegründeten psychiatrischen Klinik lag es, mehr Licht in die frühen und frühesten Lebensabschnitte des Menschen zu bringen, um die Entwicklung und das Entstehen von Verhaltensmustern und Verhaltensstörungen gleichsam an der Wurzel zu erkennen, in einer Lebenszeit also, in der das Verhalten noch außerordentlich plastisch und die das Verhalten mitgestaltende psychosoziale Umwelt einfacher als beim Erwachsenen zu erfassen ist. Zwar lagen die profunden Untersuchungen Jean Piagets zur kindlichen Entwicklung der Intelligenz und des Denkens vor, aber sehr wenig war über die psychosoziale Entwicklung und die zugrundeliegenden Interaktions- und Kommunikationsprozesse des Säuglings bekannt.

Auf diesem für die Kinderpsychiatrie eminent wichtigen Gebiet hat Hanuš Papoušek mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau Pionierarbeit geleistet und Grundlagenforschung betrieben. Das Besondere dieser Forschung liegt einerseits in der Fragestellung, für die die Zeit nach vielen Theorien und Spekulationen über die emotionale Entwicklung des Säuglings reif war, andererseits aber in der Art und Weise, wie diese Fragestellung in Angriff genommen wurde, nämlich mit einer von Herrn Papoušek selbst entwickelten Technik und Methode, die eine minutiöse Dokumentation der Verhaltensabläufe und deren sequentielle Analyse erlaubt, ohne die Situation zu verfälschen. Herr Papoušek hat dieses Vorgehen die Mikroanalyse des Verhaltens genannt. Außer den gefilmten und vertonten Interaktionsszenen können physiologische Parameter, z.B. der Herzschlag und der Tonfrequenzverlauf der stimmlichen Äußerungen, synchron im Bild erscheinen. Jedem, der diese Filmstreifen sieht, wird zum einen deutlich, welche Entwicklungsarbeit vor Jahren für eine Technik nötig war, die heute leichter zugänglich ist, zum andern aber, welche Vielfalt und Differenziertheit der Verhaltensabläufe auf diese Weise sichtbar wird und die Basis für die neuen Erkenntnisse dieser Verhaltensforschung liefert. Auf die weitere mühevoll entwickelte Technik und Methode der Auswertungen, vor allem auch der Tonspektrogramme von Mutter-Kind- und Vater-Kind-Dialogen kann ich hier nur hinweisen. Imponierend daran ist, dass Technik und Methode nicht wie sonst oft per se, sondern ganz auf die Fragestellung hin entwickelt und zugeschnitten worden sind. Auch dieses zeichnet den begabten Forscher aus.

Herr Papoušek kam 1972 nicht als Neuling in das Max-Planck-Institut. Er war längst schon als Neonatologe international auf dem Gebiet der Lernprozesse und Informationsverarbeitung in den ersten Lebensmonaten bekannt geoworden. Niemand hat Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre glauben wollen, dass der menschliche Säugling schon in der ersten Lebenswoche lernen kann, systematisch auf äußere, z.B. akustische Reize zu reagieren. Sie, lieber Herr Papoušek, haben es bewiesen, indem sie für den Säugling leicht zu vollziehende Kopfwendebewegungen als Verhaltensantwort benutzten. Auf diese Weise konnten Sie dem Säugling schon in den ersten Lebenstagen kleine Reiz-Reaktionsaufgaben stellen und feststellen, ob er sie lösen konnte. Mich haben damals die Einfachheit der Methode und die Klarheit der erzielten Ergebnisse bestochen.

Herr Papoušek war damals Leiter der Abteilung für Entwicklungsphysiologie am bekannten Prager Forschungsinstitut für Mutter und Kind, an dessen Aufbau er wesentlich beteiligt war. Aus dieser Zeit stammen die ersten Kontakte. 1970 verließ er seine Heimat zu der damals politisch sehr kritischen Zeit und setzte seine Forschung als Gastprofessor an der Harvard Universität im Department von Jerry Bruner fort.

Nach seiner Übersiedlung hierher begann ein neuer Forschungsabschnitt, der ganz der präverbalen Kommunikation des Säuglings in der Interaktion mit der Mutter, dem Vater oder äquivalenten Pflegepersonen gewidmet war. Die Mittel für die Forschung konnten vor allem im personellen Bereich nur zum Teil vom Institut beigesteuert werden. Aufgrund der Antragsqualität und Originalität gelang es Herrn Papoušek über all die Jahre, Forschungsmittel vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, von der Volkswagenstiftung und vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu bekommen. So konnte das Thema „Die Mutter-Kind-Beziehung und die kognitive Entwicklung des Kindes“ bis hin zur Entwicklung des Spielens und seinen Beziehungen zum Problemlösen verfolgt werden.

Sie, lieber Herr Papoušek, entdeckten die didaktischen Elemente in der Mutter-Kind-/Kind-Mutter-Dyade, wobei bestimmte kindliche Verhaltensweisen die intuitiven intervenierenden Handlungen der Mutter auslösen, die wiederum das Kind stimulieren. Sie fanden, dass sich diese intuitiven Handlungen in den von Ihnen und Ihrer Frau studierten westlichen und östlichen Kulturen gleichen und zu den menschlichen, klar charakterisierbaren Universalien gehören. Wichtig erscheint mir dabei die Einbeziehung dieser Befunde in die menschliche Evolution zu sein. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass Sie sich zusammen mit Ihrer Frau zu Beginn dieses Jahrzehnts der präverbalen vokalen Entwicklung des Säuglings zuwandten und auch auf diesem Gebiet schnell bekannt und erfolgreich wurden. Die einzigartigen Züge des elterlichen Vokalverhaltens, das völlig intuitiv nur dem Kinde gegenüber eingesetzt wird, hat einen nachweisbaren Einfluss auf die präverbale Entwicklung und Silbenbildung. Dabei spielt die reziproke Lautimitation im Eltern-Kind-Dialog vor allem in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres eine formende Rolle. Wir können gespannt auf die bald vorliegenden Ergebnisse sein, die sich beim Vergleich einer tonalen, der Chinesischen Sprache, und zweier nichttonaler, der englischen und der deutschen Sprache, herausstellen.

Ich habe mich vielleicht bei der gegebenen Zeit zu lange mit den grundlagen-wissenschaftlichen Aspekten beschäftigt und auch diese nur im Großen und Ganzen würdigen können. So sollte ich doch zum Schluss noch sagen, dass Herr Papoušek immer auch den praktischen Teil der Kinderpsychiatrie im Auge gehabt hat. In Schrift und Wort hat er die Bedeutung seiner Arbeit für die klinische Beobachtung erläutert und zur Pathogenese von Entwicklungsstörungen Stellung genommen. Von besonderer praktischer Bedeutung scheint mir auch zu sein, dass er als erster die Rolle des Vaters in Bezug auf die Frühentwicklung des Kindes herausgearbeitet hat.

Die Forschungsarbeiten von Herrn und Frau Papoušek, die inzwischen zum Markenzeichen geworden sind, gehen zwar in diesen Wochen am Max-Planck-Institut für Psychiatrie zu Ende, werden aber in München ihre Fortsetzung finden. Vor allem die Beiträge zur phonologischen Entwicklung fanden in einem Zusammenhang statt, der wohl sonst nirgends gegeben ist, nämlich im thematischen Zusammenhang mit Studien an sprechgestörten erwachsenen Patienten, unterstützt durch Studien der audio-vokalen Kommunikation an subhumanen Primaten. Herr Papoušek hat dem Institut durch seine fundamentalen Arbeiten zur Entwicklung der kommunikativen Kompetenz des Menschen große Ehre eingebracht. Die Verleihung der Heinrich-Hoffmann-Medaille an ihn erfüllt mich mit großer Freude. Ich gratuliere ihm herzlich zu dieser Auszeichnung.


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