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Joint Basic Research Related to Infant Mental Health:
Communication as Early Musical Experience



Musikalische Elemente in der vorsprachlichen Kommunikation


Excerpts from:

M. Papoušek (2005). Vorwort zu C. Plahl und H. Koch-Temming (2005). Musiktherapie mit Kindern. Hans Huber, Bern.

Der menschliche Säugling wird in eine Welt voller Klänge, Geräusche und Stimmen hinein geboren. Erstaunliche angeborene Fähigkeiten erlauben ihm, in dem anfänglichen Klanggewirr bedeutsame Signale vom akustischen Hintergrund zu trennen und Unwichtiges zu habituieren. Es sind vor allem Grundelemente der Musik, der Klang der menschlichen Stimme, Töne, Melodien und Rhythmen, die im ruhigen Wachzustand die auditive Aufmerksamkeit des Neugeborenen auf sich ziehen.

Die Prädispositionen im Bereich der frühkindlichen Wahrnehmung finden ein natürliches Gegenstück in der Kommunikationsbereitschaft seiner sozialen Umwelt: in den ebenso erstaunlichen Prädispositionen seiner Eltern und Betreuer, die ihre Sprechweise intuitiv auf die elementaren musikalischen Vorlieben und Wahrnehmungsfähigkeiten des Säuglings abstimmen. Die elterliche Sprechweise ist reich an lebhaft ausgeprägten musikalischen Elementen, an wohl klingender Melodik, Rhythmus und Dynamik. Darüber hinaus hat die soziale Umwelt in allen Kulturen zu allen Zeiten ein eigenes musikalisches Repertoire für die Kleinsten in Form von tradierten Wiegenliedchen, Reimen und rhythmischen Spielchen bereitgehalten und mit traditionellen Wiegen, Hängematten oder Tragetüchern für reichhaltige rhythmische Stimulation Sorge getragen. Auch wenn in den industrialisierten Nationen gemeinschaftliches Singen und Tanzen als ursprüngliche Ausdrucksformen im familiären und gesellschaftlichen Zusammenleben immer mehr an Bedeutung verlieren, findet man doch bei Müttern von Säuglingen und ihren Müttern gelegentlich eine Wiederbelebung dieses in seinen Grundstrukturen universellen biologischen Erbes.

Sind die musikalischen Elemente in der vorsprachlichen Kommunikation und intersubjektiven Bezogenheit zwischen dem Säugling und seinen Eltern mehr als ein wohlklingendes Beiwerk anderer Entwicklungsprozesse? Welche Rolle spielen Rhythmus, Singen und Musik in der Entwicklung der Kinder? In allen Kulturen und allen geschichtlichen Epochen bis weit zurück in die evolutionäre Vergangenheit des Menschen hatte Musik ihren Platz und schon von alters her wurden ihr sogar heilende Kräfte zugeschrieben. Die universellen komplementären Dispositionen auf kindlicher und elterlicher Seite legen die Vermutung nahe, dass ihnen aus psychobiologischer Sicht bedeutsame adaptive Funktionen zukommen. So hat die Erforschung der musikalischen Frühentwicklung gezeigt, dass die elementaren musikalischen Wahrnehmungsfähigkeiten und Ausdrucksformen in der frühen Kommunikation aufs engste mit der Regulation von Affektspannung und emotionaler Befindlichkeit, mit Bewegungskoordination, vorsprachlicher Kommunikation und Sprachanbahnung, mit sozialer Kommunikation in Gruppen und mit dem Spiel als Grundform selbstbestimmten Lernens und kreativer Betätigung in Zusammenhang stehen.

Musikalische Elemente werden bald zu einem ersten gemeinsamen Alphabet der vorsprachlichen Kommunikation und zu einem gemeinsamen Medium, das wechselseitiges Entrainment, affektive Abstimmung, Nachahmung und Austausch emotionaler Erfahrung und Bewertung des Erlebten ermöglicht. Gleichzeitig dienen die musikalischen Elemente auch verschiedenen linguistischen Funktionen in Vorbereitung auf den Spracherwerb.

Die musikalischen Elemente können sich während der Frühentwicklung des Lautierens und Singens in besonderer Weise auch im „Spiel des Säuglings mit der eigenen Stimme“ entfalten. Dabei verwandelt sich die eigene Stimme in ein stets verfügbares musikalisches Instrument oder Spielzeug, mit dem er das sich entwickelnde stimmliche Potential spielerisch erprobt, auslotet, einübt, neue rhythmische und melodische Lautmuster entdeckt und erste Elemente aus Liedchen und Sprache in das eigene Repertoire integriert. Auch der stimmliche Austausch mit den Eltern ist reich an spielerischen Elementen, beim Wiederholen und Variieren melodischer und rhythmischer Elemente, beim wechselseitigen Nachahmen und beim Erlernen und Improvisieren der ersten Liedchen.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die primären intrauterinen Hörerfahrungen und viele der postnatalen auditiven Eindrücke untrennbar mit vitalen autonomen Körperfunktionen und Bewegung verbunden sind, insbesondere mit dem rhythmischen Pulsieren des Blutes in Plazenta und benachbarten Gefäßen und den übertragenen Bewegungen des Zwerchfells im Rhythmus des mütterlichen Sprechens und Atmens. Zu den elementaren Grunderfahrungen gehört auch die enge Verbindung von Rhythmus und Melodie mit der basalen physiologischen und affektiven Erregungsmodulation. Langsam pulsierendes Rauschen und fallende Melodien in langsamem Legato beruhigen und lullen in den Schlaf, während raschere Bewegungsrhythmen, höhere Stimmlage und steigende Melodien mit kurzen stakkatoartigen Tönen erregen, energetisieren und Aufmerksamkeitsprozesse aktivieren.

Die biologisch verankerten Zusammenhänge zwischen Musik und Kommunikation sind in traditionellen Kulturen noch immer lebendig, wo Musik in Form von Singen, Tanz und vielfältigen Ritualen als ein allseits gegenwärtiges Medium der Verständigung, gemeinsamen Erlebens und synchron abgestimmter Aktivitäten in sozialen Gruppen wirksam ist. Musikalische Elemente mit ihren universellen Botschaften gewinnen aber auch überall da an Ausdruckskraft, wo die sprachliche Kommunikation erschwert ist, vor allem im Bereich der präverbalen Kommunikation und der intersubjektiven emotionalen Bezogenheit zwischen dem Säugling und seinen Eltern. Sie dienen hier dem Ausdruck gemeinsamen emotionalen Erlebens und der Regulation von Aufmerksamkeit, affektiver Erregung und Spannung sowie dem Ausdruck von Freude, Traurigkeit, Sehnsucht oder Vertrautheit und Geborgenheit. In den primären Bindungs- und Beziehungserfahrungen bilden die musikalischen Elemente somit die erste gemeinsame „Sprache“ im intersubjektiven Austausch, Erleben und Verstehen.



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